Artour tourt bald allein durch Arbons Altstadt

Fahrzeuge und Technik Ausgabe-08-2025

Auf der ersten Demofahrt kurvt Artour durch die enge Altstadt und ums historische Rathaus von Arbon, im Hintergrund der markante Turm der katholischen Kirche.

Mit Blick auf den Fachkräftemangel auch im ÖV geht man in Arbon neue Wege. Angestossen durch die Technische Gesellschaft Arbon TGA ist jetzt das Pilotprojekt «Artour» gestartet, mit einer neuen Altstadtlinie und einem autonom fahrenden Bus.

Arbon, die ursprüngliche Heimat der Saurer-Nutzfahrzeuge, bleibt bis heute eine Stadt der automobilen Innovation. Das ist sicher einmal den Ingenieuren der FPT Motorenforschung geschuldet, die – in Arbon angesiedelt – einen wesentlichen Beitrag an die moderne Antriebstechnologie des Mutterkonzerns Iveco beisteuern. Und da macht jüngst die Technische Gesellschaft Arbon TGA von sich reden. Zum 100-Jahr-Jubiläum Anfang 2019 wollten die Mitglieder nicht nur zurückblicken und haben deshalb beschlossen, zukunftsorientiert ein Projekt für einen automatisierten Linienbus in Angriff zu nehmen, den SCCL, den Self-Controlled City Liner. Mitte August waren die Technik und der gesetzliche Rahmen bereit, um mit dem autonomen Bus und geladenen Gästen erstmals im Verkehr unterwegs zu sein. Bis zum eigentlichen Ziel, wo der Bus komplett unbegleitet fahren wird und nur noch vom Steuerstand im Busdepot fernbetreut wird, sind wir aber im besten Fall noch weitere drei Jahre entfernt (siehe Kasten).

Die neu geschaffene Altstadtlinie verbindet den Bahnhof Arbon via Altstadt mit dem Strandbad/Seeparksaal. Alle neun Haltestellen auf der 2,5 km langen Rundstrecke sind barrierefrei gestaltet. Der Bus ist dabei die ganze Zeit in Tempo-30-Zonen unterwegs, weshalb eine komplette Runde zwischen 20 und 25 Minuten dauern wird. Ist ein Teil der Strasse wegen einer Veranstaltung nicht befahrbar, kann der Bus auf fünf alternative Routen ausweichen. Während der drei Jahre dauernden Projektphase wird stets ein Sicherheitsfahrer im Bus mitfahren, doch danach soll nur noch fernüberwacht werden. So soll es künftig möglich sein, dass mehrere Busse von nur einem Teleoperateur aus dem Busdepot betreut werden.

Projekt mit Zukunft

Der Name Artour war für den Elektrobus im Rahmen eines öffentlichen Wettbewerbs in Arbon auserkoren worden. Beim Fahrzeug handelt es sich um den rund 8,3 m langen e-ATAK der türkischen Marke Karsan, der mit 20 Sitzplätzen und einer möglichen Passagierkapazität von 50 Personen aufwartet. Vorerst dürfen Passagiere jedoch nur sitzend und angegurtet mitfahren. Artour ist daher ein anderes Kaliber als die Kleinfahrzeuge der bisherigen Projekte autonom fahrender Busse in Sion, Bern oder Neuhausen am Rheinfall. «Unser Ziel ist es, etwas zu schaffen, das auch der Bevölkerung einen Mehrwert bringt», erklärte Projektleiter Hansueli Bruderer am Startevent Mitte August. Das sieht das Bundesamt für Verkehr BAV ähnlich. «Die bisherigen Projekte waren eher mit fraglichem Nutzen für den ÖV, denn die Busse waren zu klein, zu langsam und nicht behindertengerecht», sagt Barbara Zollinger, wissenschaftliche Mitarbeiterin des BAV. Artour hingegen sieht sie als wichtigen Schritt für die Zukunft der Mobilität. Denn aus dem Projekt erhofft man sich Kostenoptimierungen im ÖV, was wiederum Gelder für andere Projekte freiwerden lässt, die bislang mangels Finanzen von Bund und Kantonen nicht unterstützt werden konnten.

Während die Elektroantriebstechnik heute als erprobt und zuverlässig bezeichnet werden kann, ist der Knackpunkt jene Technik, welche den Fahrer dereinst ersetzen soll. Für Sensorik und Steuerelektronik gelangen die Technik und das Know-how der US-amerikanischen Firma Adastec zum Einsatz. Karsan hatte sich bereits früh auf die Adastec-Technik festgelegt.

Aus der Ferne

Bei den bisherigen autonom fahrenden Busprojekten von Karsan setzen die Betreiber einzig auf die Sicherheitsfahrer, die Idee der Fernbetreuung feiert in Arbon Weltpremiere, wie Karsan-CEO Okan Bas Mitte August bestätigt. Auch die gesetzlichen Grundlagen sind dazu noch sehr jung. «In der ersten Phase der Projektarbeit war eine Fernüberwachung von Gesetzes wegen noch gar nicht denkbar», erklärt Hansueli Bruderer. «Erst 2023, durch die Änderung des Strassenverkehrsgesetzes SVG, konnten wir überhaupt damit beginnen, die Fernüberwachung ins Projekt zu integrieren.»

Betrieben wird Artour von der Eurobus Ostschweiz AG am Standort Arbon, dort ist auch die Leitstelle für Artour untergebracht. In der Leitstelle ist man dank Remote Reporting stets über den Status des Fahrzeugs im Bilde und es kann mit Remote Control ferngesteuerte Hilfe geleistet werden. Solche manuellen Eingriffe werden zu Beginn vom Sicherheitsfahrer vorgenommen, doch mit fortschreitendem Projekt sollen sie immer mehr aus der Leitstelle erfolgen. «Nur wenn das funktioniert, wird es dereinst möglich werden, dass ein Leitstellenmitarbeiter für eine ganze Anzahl Busse zuständig sein wird», ist Hansueli Bruderer überzeugt.

Parallel zur Projektentwicklung dürfte sich auch die Gesetzeslandschaft ändern, denn eine solche Änderung wird nötig werden, damit nach Ablauf des Pilotprojektes Artour in einen regulären Linienbetrieb ohne Sicherheitsfahrer überführt werden kann. Davon darf auch ausgegangen werden. Erwin Wieland, Vizedirektor ASTRA, erklärt: «Solche Pilotversuche erlauben uns die seriöse Anpassung der Gesetze.» Darüber hinaus ist Wieland überzeugt, dass solche Pilotversuche helfen, die Akzeptanz in der Bevölkerung auszubauen.

Grosse Unterstützung

Artour ist in der Region breit abgestützt, unter anderem durch die Projektpartner Stadt Arbon, Arbon Energie AG, Eurobus, Postauto AG und Larag. Dass Artour finanziell überhaupt starten konnte, ist auf 1,8 Mio. Franken aus der Privatisierung der Thurgauer Kantonalbank zurückzuführen, die der Kanton Thurgau gesprochen hatte. In den Genuss solcher Gelder kommen noch 19 weitere Projekte im Thurgau, doch ist Artour das erste davon, das realisiert ist.

■ Text und Foto: Martin Schatzmann

 

Der lange Weg zum eigentlichen Projektziel

Unbegleitet erst ab Mitte 2028

 

– Im Laufe von Q4 2025 wird Artour seine Route mit Passagieren befahren, mit Sicherheitsfahrer auf dem Fahrersitz.
– Im kommenden Jahr Testbetrieb mit Sicherheitsfahrer und teilweise Teleoperation (Bild: Steuerstand im Busdepot).
– Erste Jahreshälfte 2027 Betrieb mit Teleoperation, aber Sicherheitsfahrer auf dem Fahrersitz.
– Zweite Jahreshälfte 2027 Betrieb mit Teleoperation, Sicherheitsfahrer neben dem Fahrersitz.
– Erste Jahreshälfte 2028 Betrieb mit Teleoperation, Sicherheitsfahrer begleitet nur noch im Fahrgastraum.
– Ab zweiter Jahreshälfte 2028 Betrieb komplett mit Teleoperation, ohne Sicherheitsfahrer im Bus.

Martin Schatzmann