Hier, um zu bleiben – Aus China: neuer Sany eTruck

Fahrzeuge und Technik Ausgabe-09-2025

Das Kabinenäussere der zweiten Generation des Sany eTruck hat zwar klare chinesische Züge, im Inneren jedoch erfüllt sie anspruchsvolle europäische Wünsche.

Im Bussegment haben chinesische Marken in Europa bereits Fuss gefasst, bei den Lastwagen hingegen ist die Präsenz noch sehr bescheiden. Das will Sany mit seiner zweiten Generation eTrucks ändern. Den Start macht der Sany e435, ein elektrisches 8×4-Chassis.

Über die letzten Jahre ist das Auftauchen von neuen Lastwagenherstellern in Europa ein seltenes Phänomen gewesen. Nach 2018 war dies beispielsweise Ford Otosan (Türkei) mit der sukzessiven Ausweitung seines Netzwerks vor allem für seine damals neu entwickelte Sattelzugmaschine Ford F-Max. Ein anderer Name ist Hyundai mit dem Brennstoffzellen-Lkw Xcient Fuel Cell. Mit der Zunahme der Elektromobilität sehen nun auch chinesische Hersteller Chancen auf dem europäischen Markt, nicht zuletzt grosse Marken wie BYD haben erste diesbezügliche Schritte unternommen. Die Schwierigkeit für neue Marktplayer liegt heute meist nicht mehr im Fahrzeug selbst, sondern im Aftersales. Dieses sicherzustellen, ist bereits bei Personenwagen wichtig, im Nutzfahrzeugsegment ist Aftersales – neben dem TCO – ein absolutes Muss.

Knackpunkt Service

Dies ist sich die Sany Group (Kasten rechts) – ein weiterer chinesischer Player – sehr wohl bewusst. Vor drei Jahren begann Sany über die deutsche Konzerntochter Putzmeister die erste Generation seines eTrucks mit Betonmischer in homöopathischer Dosis nach Europa zu bringen. Der Vorteil solcher Fahrzeuge ist, dass sie sich in klar definierten und kleinen Radien um einen Firmensitz herum bewegen, was das Sicherstellen von Serviceleistungen vereinfacht. Entsprechend hat Sany, mit dem Support von Putzmeister, in Europa den Fuss in die Tür geschoben, indem Putzmeister den Fahrzeugservice via sein bestehendes Servicenetz für seine Baustellenaufbauten sicherstellte. Die gesamthaft gut 150 Sany 8×4-eBetonmischer in mehr als 15 Ländern haben es Putzmeister nun möglich gemacht, Erfahrungen für die nächste Phase der Expansion der Elektro-Lastwagen in Europa zu sammeln.

Mit dem Start der zweiten Generation des eTrucks muss das Servicenetz rasch ausgebaut werden, denn neben dem 8×4-Chassis für beispielsweise Betonmischer, bringt Sany im kommenden Jahr eine elektrisch 4×2-Sattelzugmaschine (Sany e264) und 2027 ein 6×2-Chassis (Sany e365) für den Verteilerverkehr. Dazu wurde ein europaweiter Rahmenvertrag mit Alltrucks (700 Standorte) unterzeichnet, wobei mit jeder infrage kommenden Werkstatt Einzelverträge abgeschlossen werden. Ergänzend dazu arbeitet Putzmeister in Servicefragen auch mit Bosch zusammen und nutzt ebenfalls seine eigenen Standorte. Probleme mit der Batterie löst der Hersteller CATL mit mobilen Teams, sogenannten «Flying Doctors», selbst. Ein weiteres Aftersales-Standbein ist die Teileversorgung, die hauptsächlich über das Netz von Sany- und Putzmeister-Lager abgewickelt wird. Um das alles aufzubauen, setzt Putzmeister auf ein speziell aufgestelltes eTruck-Team.

Die zweite eTruck-Generation

Die Erfahrungen in Europa mit den Fahrzeugen der ersten Generation und die marktspezifischen Anforderungen Europas liess Sany in die Entwicklung seiner zweiten Generation einfliessen. Das Feedback von Putzmeister stellte dabei die Basis dafür dar. Offensichtliche Neuerung ist die komplett neue Kabine, welche nun in dieser Form für alle Modellvarianten in Europa die gleiche sein wird. Sie ist luftgefedert, länger als bisher und verfügt stets über eine Liege im Heck. Einzige Variable bei der Kabine ist die Bauhöhe: Während sie für das 8×4-Chassis niedrig baut (Bilder), bietet sie in der kommenden Sattelzugmaschine ein höheres Dach und damit mehr Innenraum und Komfort für längere Kabinenaufenthalte im Überlandverkehr.

Nicht nur die Wahl der Kabinengrösse ist ziemlich knappgehalten, auch bei der Ausstattung gibt es nur eine kurze Wunschliste. Dafür ist aber praktisch alles dabei, was man sich wünscht. Hochwertig verarbeitetes Interieur mit Digitalcockpit und grossem Zusatzbildschirm, Kühlschrank, Lenkradheizung und belüftete/beheizte Sitze. Natürlich sind alle vorgeschriebenen Sicherheitssysteme verbaut, inklusive 360°-Vogelperspektive.

Daher die Modellbezeichnungen

Die erste eTruck-Generation hatte ihre Batterien im Zusatzaufbau hinter der Kabine untergebracht, neu verteilen sie sich unter dem Fahrerhaus und seitlich am Chassis. Sany setzt dabei – wie alle anderen OEM in China und zunehmend auch die Europäer (Seite 20 und 26) – auf Lithium-Eisenphosphat-Batterien LFP. Der Sany e435 kommt mit 350 kWh Kapazität, in der kommenden zweiachsigen Sattelzugmaschine e264 werden es 640 kWh sein. Die Modellbezeichnung setzt sich daher aus der Anzahl Achsen und der Batteriekapazität zusammen.

Sany ist mit dem neuen e435 mit Betonmischer gestartet, inzwischen ist er aber auch mit Abrollkipper und Kranaufbau erhältlich. Zugleich ist der e435 für andere Aufbauten zugelassen, beispielsweise auch für eine Betonpumpe (die Kernkompetenz von Putzmeister).

Unter unterschiedlicher Spannung

Der e435-Vierachser ist offroadfähig und wird von einem Zentralmotor angetrieben, während die Sattelzugmaschine und das Dreiachser-Chassis mit E-Achsen eine ganz andere Antriebseinheit erhalten. Auch die Spannung des Hochvoltsystems ändert sich von 8×4 zu 4×2 und 6×2. Beim Mischerchassis, das selten weite Strecken zurücklegt und meist im Depot geladen wird, ist die Betriebsspannung 600 Volt und der Energiespeicher lässt sich mit maximal 250 kW laden. Eine Ladung von 20 auf 100 % dauert damit rund 1h10. Die kommende Zugmaschine und das Verteilerchassis werden hingegen öfter unterwegs geladen werden. Sie kommen daher mit 800 Volt Betriebsspannung und die Ladezeiten lassen sich dank 400 kW möglicher Ladeleistung verkürzen.

Die E-Maschine im e435 leistet 270 kW, mit einer Peakleistung von 405 kW (umgerechnet 376 resp. 551 PS). Die Praxis zeigt auch bei anderen Herstellern, dass dies dank des hohen und praktisch ab Stillstand bereitstehenden Drehmoments kaum zu wenig sein dürfte, vielmehr verlangt dies einen feinfühligen «Gasfuss», um nicht mit einem Sprung vom Platz loszubrettern. Zum Antrieb gehört auch ein automatisiertes 4-Gang-Getriebe. Bei ihm fällt kurz nach dem Losfahren der abrupte Gangwechsel vom zweiten in den dritten Gang auf. Im Normalbetrieb ist das etwas störend, sorgt aber auch für den im steilen Gelände benötigten schnellen Gangwechsel. Ansonsten lässt sich der neue eTruck fein bedienen, u. a. auch mittels der fünfstufigen Rekuperation, mit welcher sich gemäss Sany bei entsprechender Fahrweise zwischen 25 und 30 % der Vortriebsenergie zurückgewinnen lassen. Übrigens spricht Sany im Schnitt von 1,1 bis 1,3 kWh/km Energieverbrauch (ohne Gelände).

Schweres Gelände ist mit dem e435 problemlos zu bewältigen. Dabei helfen die einzeln sperrbaren Differenziale, aber auch die 350 mm Bodenfreiheit und eine Wattiefe von guten 800 mm. Die Hochvoltanschlüsse sind wegen der Vibrationen übrigens verschraubt.

Ferndiagnose und -lösung

Die Chinesen setzen bei ihrem neuen Lkw die Ferndiagnose ein und bieten Over-the-Air-Updates. Und bei Problemen kann der Fahrer im Cockpit selbst die Fehlercodes auslesen und im Kontakt mit der 24/7-Hotline herausfinden, ob er noch nach Hause fährt oder auf Hilfe vor Ort warten muss. Zudem hat der Fahrer via das MySany-Portal vom Handy her Zugriff auf seinen Truck, kann ihn vorkonditionieren und Fenster/Türen bedienen.

Text: Martin Schatzmann
Fotos: Bernd Märkert / Schatzmann

 

Sany eTrucks und Putzmeister

 

Hinter dem neuen Elektro-Lkw steht die Sany Group aus China. 1989 gegründet, hat sich Sany auf Baumaschinen konzentriert und ist heute weltweit die Nummer 3, hinter Caterpillar und Komatsu. Sany ist ein Vollsortimentanbieter, dessen Palette vom Baggern über Kräne und Hafenmaschinen bis hin zu Strassenbau- und Betonmaschinen reicht. Letzteres ist auch die Spezialität von Putzmeister und mit ein Grund, weshalb die Besitzer beider Firmen im Jahr 2012 den Verkauf von Putzmeister an Sany besiegelt haben.

Lastwagen baut Sany allerdings erst seit 2019 und hat dazu im gleichen Jahr am Hauptsitz in Changsha ein vollautomatisches Werk in Betrieb genommen. Und fast zu Beginn hat sich Sany entschieden, nur noch in den Elektroantrieb zu investieren. Heute ist Sany bei den E-Trucks in China die Nummer 1.

Die Lkw-Fabrik weist eine Kapazität von 300 000 Fahrzeugen auf. Sie ist aber aktuell mit nur 50 000 Fahrzeugen alles andere als ausgelastet, was entsprechend grosses Potenzial fürs Exportgeschäft mit sich bringt. Das Lkw-Geschäft wird je nach Weltregion von einer anderen Einheit der Sany Group wahrgenommen, in Europa ist dies Putzmeister mit seinen europäischen Wurzeln.

Martin Schatzmann