Der australische Lastwagenfahrer Brinley Lewis verdient gut, eine sechsstellige Summe. Doch dieses Geld will auch verdient sein. Er chauffiert einen enormen Lastenzug und arbeitet brutale Stunden. Und er tut alles, damit er seine Ladung sicher ans Ziel bringt, denn bei einem Unfall riskiert er, dass von seinem Gefährt und von sich selbst nicht mehr viel übrig bleibt.
Heute steht eine Fahrt von der westaustralischen Hauptstadt Perth ins 1200 Kilometer nordwärts, in der Einöde gelegene Minenstädtchen Newman auf dem Programm. Das ist die Tagesetappe (nein, kein Tippfehler). Auf den drei Anhängern der als C-Train bezeichneten Roadtrain-Kombination transportiert er über 100 Tonnen Ammoniumnitrat. Letzteres ist die Basis für Düngemittel, aber auch für Sprengstoff. Das Zeug ist nicht grundsätzlich gefährlich, aber ein Mischen mit Diesel oder offenes Feuer hätte katastrophale Folgen (siehe Kasten). Brinley Lewis gibt sich gelassen, hat er doch 34 Jahre Chauffeurdasein auf dem Buckel. Davon ist er 20 Jahre Roadtrain gefahren und ist nunmehr seit 14 Jahren bei Cropline Haulage tätig. Und er ist berechtigterweise stolz darauf, während seiner ganzen Laufbahn komplett unfallfrei unterwegs gewesen zu sein.
Der 17-Stunden-Tag
Am Standort von Cropline Haulage am Stadtrand von Perth geht es an diesem Tag früh los. Die Ladung muss in die Eisenerzminen bei Newman. Mit dem 36,5 Meter langen Roadtrain kann Lewis auch innerhalb der Stadtgrenzen von Perth operieren. Ein vierter Trailer würde erst ausserhalb der Stadt angekoppelt. Tagesetappen von 1200 Kilometern mit dem Lastwagen klingen für uns Westeuropäer absolut utopisch, sind aber in Australien Lkw-Alltag. Chauffeure dürfen mit bis zu 100 km/h cruisen und bis 17 Stunden am Tag unterwegs sein, müssen einfach alle fünf Stunden eine 30-Minuten-Pause einlegen. Und nach einer Nachtruhe von zehn Stunden können sie sich wieder für bis zu 17 Stunden auf den Weg machen. Gesetzlich erlaubt ist dieser Rhythmus während zwölf hintereinanderfolgenden Tagen, danach sind zwei volle Tage Ruhe angesagt. Seine Fahrtätigkeiten protokolliert der Chauffeur manuell in seinem Logbuch.
«Gute Arbeitgeber drängen ihre Chauffeure nicht», meint Lewis. Zu diesen zählt er auch Cropline Haulage. Die ganze Fahrzeugflotte der Firma ist zudem mit Müdigkeitssensoren nachgerüstet, welche den Sitz vibrieren lassen, wenn eine Abnahme der Konzentration erkannt wird. Alle rund 50 Kilometer sind entlang der Routen grosszügig dimensionierte Ausstellplätze vorhanden. «Wenn ich Müdigkeit verspüre, nutze ich diese Plätze immer.» Solche Stopps würden nie infrage gestellt. «Am Firmensitz ist man eher besorgt darüber, dass die Chauffeure sich ihre Pausen nicht nehmen.»
Die Zugmaschine ist ein neuer Volvo FH 16 mit XXL-Kabine und 17-Liter-Motor mit 780 PS. Den 8×4 mit dem neuen Flaggschiff-Motor setzt Volvo Trucks Australia für die Kundenerprobung ein. Doch auch mit 780 PS und 3800 Nm Drehmoment geht es nur gemächlich über die ersten Hügel nach Perth, und der rund 115 Tonnen wiegende Roadtrain zuckelt schwerstarbeitend mit 46 km/h die Steigung hoch. Ein paar Kilometer weiter wird es nochmals steiler, und es liegen dort nur noch 26 km/h drin. Doch Lewis ist zufrieden mit der Performance seines Fahrzeuges. Den ersten Kaffeehalt legt er nach den obligatorischen fünf Stunden ein. Bei jedem Halt checkt er die Räder – aktuell sind es total 58 Stück –, indem er dem Pneudruck akustisch mit einem speziellen Eisenstab und der Reifentemperatur elektronisch mit einer Infrarot-Messpistole auf den Zahn fühlt.
Rindvieh und Wide Load
Die Szenerie verändert sich, Buschlandschaft hat das Ackerland abgelöst. Hier grasen die Rinder, und sie bewegen sich frei, Zäune gibt es nicht. «Bei Nacht bin ich hier auf meine Infrarot-Kamera angewiesen», so Lewis. Das Nachrüstsystem sei zwar mit $ 10 000 teuer, wenn man aber ein Rind überfahre, könne der Schaden am Truck trotz massivem Kuhfänger leicht in die $ 80 000 gehen.
Im immer spärlicher werdenden Verkehr kreuzen praktisch nur noch schwere Lastwagen. Der Mix besteht zu je rund 50 Prozent aus europäischen Frontlenkern und amerikanischen Haubenfahrzeugen. «Ich ziehe europäische Modelle den Amis vor. Letztere empfinde ich eher als ungehobelt und die manuelle Schalterei wenig komfortabel.» Er kann dem Komfort von automatisierten Getrieben, wie jenem des Volvo FH 16 780, viel abgewinnen.
Nach drei Vierteln der Strecke erwacht wieder einmal das Funkgerät. Während das ebenfalls vorhandene Satellitentelefon die Rettungsleine für Notfälle ist, dient der Funk für die Kommunikation zwischen den Fahrern auf der Strecke. Ein Spezialtransport mit 8,5 Metern breiter Ladung kommt entgegen und belegt beide Spuren der Landstrasse. Lewis fährt vorsichtig auf den Seitenstreifen. Eine Stunde später koordiniert er sich am Funk mit dem vor ihm fahrenden, mit Riesenreifen beladenen Roadtrain, um diesen zu überholen. «Solche Manöver verlangsamen die Fahrt und brauchen eine Menge Treibstoff», erklärt Lewis. «Aber wir verstehen uns hier draussen gut und helfen einander weiter.»
Die Strasse in der längst zur endlosen Weite gewordenen Landschaft ist immer wieder von toten Kängurus, Kühen, Geissen oder Adlern gesäumt. Die ganze Szenerie ist auf ihre eigene Weise atemberaubend, erhält aber zusehends auch repetitiven Charakter. «Nein. Die Landschaft langweilt mich überhaupt nicht», sagt Lewis beinahe empört. «Ich liebe es hier draussen. Und ich liebe auch diesen Lifestyle.» Dann fällt langsam die Nacht über das Outback. Lewis schaltet seine Infrarotkamera ein. Keine Minute zu früh, denn es wandert bereits ein Kalb ins Sichtfeld. Lewis bremst beinahe bis zum Stillstand ab. Ausweichen ist keine Option – eine solche Bewegung würde sich über die Länge des Roadtrain nach hinten verstärken und könnte eine schon schwierige Situation zusätzlich verschärfen. Diesmal ist der Ausgang glimpflich, das Kalb hat die Fahrbahn auf der anderen Strassenseite verlassen und Lewis nimmt wieder Fahrt auf.
Und wieder zurück
Für seine Begleiter ist in Newman die Reise zu Ende. Lewis muss noch 150 Kilometer weiter, zur Mine in Christmas Creek. Da dort aber bereits drei Roadtrains aufs Abladen warten – Funkverkehr sei dank – bezieht er vorzeitig Nachtlager auf einem Ausstellplatz. Zehn Stunden später wird er wieder unterwegs sein, bei Tagesanbruch seine Ladung loswerden und sich danach auf den langen Rückweg nach Perth machen, um bei Ablauf der 17 Stunden wieder auf dem Areal von Cropline Haulage einzutreffen. Und am Tag danach startet das Ganze von vorne. «Es ist eine Lebensweise», sagt Brinley Lewis. «Und ich möchte das auch nicht anders.»
Text: Will Shiers* / MS, ITOY
Fotos: Gavin Blue, Shiers
*Will Shiers:
Der Brite ist Redaktor beim englischen Magazin Commercial Motor und Mitglied der Jury International Truck of the Year ITOY.
Der Urknall
Welche katastrophalen Folgen Ammoniumnitrat haben kann, wissen die meisten von der Explosion im Hafen von Beirut im August 2020. In Australien sind Lkw-Unfälle mit Ammoniumnitrat äusserst selten, haben dann aber gewaltige Auswirkungen. So war 2014 im nordöstlichen Australien ein Lkw vom Mitchell Highway abgekommen und hatte Feuer gefangen. Die durchs Feuer ausgelöste Explosion riss einen 30-m-Krater in die Strasse, zerstörte zwei Brücken und war noch 30 km entfernt zu spüren. Viele Menschen wurden verletzt, aber trotz der massiven Druckwelle gab es keine Toten.
Will Shiers / MS