ROUTIERS: Hans-Peter Dreier, Sie sind seit dem Frühling im Verwaltungsrat von CST. Was hat Sie dazu bewogen, diese Aufgabe zu übernehmen?
Hans-Peter Dreier: Ich wurde angefragt – im Verwaltungsrat war niemand aus der Logistik vertreten. Zuerst dachte ich: «Das ist nicht euer Ernst!» Aber schliesslich habe ich zugesagt.
Das überraschte, schliesslich haben Sie vor einigen Jahren an einer Podiumsdiskussion noch eine Position gegen CST vertreten.
Damals war ich der Meinung, dass eine U-Bahn für Menschen statt Güter mehr Sinn machen würde, da es so mehr Platz für die Lastwagen auf der Strasse gäbe. Die Schweiz will nicht mehr Autobahnen, den Verkehr haben wir aber trotzdem. Ihn in den Untergrund zu verlagern, ist eine Lösung. Ich vergleiche CST heute mit der Idee eines Tunnelprojekts durch das Gotthardmassiv, die im Jahr 1852 aufkam. Es dauerte schliesslich zwanzig Jahre, bis der Bau des Bahntunnels begann. Das war eine Pionierleistung! Und wir Schweizer können Tunnelbau – darauf lässt sich aufbauen.
Was hat Sie denn an der Idee von CST überzeugt?
Mich beschäftigt die Frage: Was hinterlassen wir unseren Enkeln? Der Verkehr ist ein Problem, und CST eine Möglichkeit, ihn anders zu denken. Vielleicht sind wir eine Generation zu früh, aber wenigstens befassen wir uns damit. Auch für den Gotthard brauchte es zwanzig Jahre, bis es losging. Wir sollten solche Ideen prüfen.
Im Sommer sah es für das visionäre Projekt gut aus: Der Bundesrat legte den Sachplan «Unterirdischer Gütertransport» in einer ersten Fassung fest. Im September folgte jedoch die Wende: Das Projekt soll vorerst nicht weiterverfolgt werden. Ist das visionäre Denken in der Schweiz verloren gegangen?
Ja, ich denke schon. In anderen Ländern wie in Dubai oder Katar wurde in den letzten Jahrzehnten enorm investiert – wir dagegen treten bei der Infrastruktur eher auf der Stelle. Klar darf man nicht eins zu eins vergleichen, aber hierzulande ging in puncto Infrastruktur wenig vorwärts.
Was waren Ihres Erachtens die Gründe, dass CST aktuell nicht weiterverfolgt wird?
Es gibt immer mehr Auflagen. Die Kantone und Gemeinden haben nach Problemen gesucht, statt CST als Lösung zu sehen. Wenn man beim Gotthardtunnel damals alle Parameter wie heute bei CST vorher hätte klären wollen, hätte man ihn wohl nie gebaut. Und in Dubai wurden viele Probleme während der Bauphase gelöst. Hierzulande verliert man sich in Details und sieht nur negativ. Das ist keine gute Ausgangslage für ein visionäres Projekt wie CST.
Wussten Sie zu Beginn des Engagements für CST bereits, dass es mit einer Realisierung schlecht aussieht?
Als ich gewählt wurde, war diese Richtung noch nicht absehbar. Ich konnte im Gremium sicher aufzeigen, wo es Herausforderungen in der Logistik geben wird – beispielsweise, wie viel ein Transport maximal kosten darf. Die ausschlaggebenden politischen Entscheidungen wurden erst nach meinem Antritt gefällt. Die Investoren haben viel Geld in das Projekt investiert und wollten Resultate sehen. Da die gesetzten Meilensteine nicht erreicht wurden, mussten wir Massnahmen ergreifen.
Man konnte lesen, dass CST Stellen abbauen und sich künftig auf die Citylogistik konzentrieren will. Können Sie mehr dazu sagen?
Die Citylogistik ist ein wichtiges Geschäftsfeld, in dem Lösungen nötig sind, um die zunehmenden Herausforderungen im Stadt- und Agglomerationsverkehr zu meistern. Dank der langjährigen Erfahrung kann CST hier wichtige Erkenntnisse liefern.
Ganz begraben ist die Vision eines unterirdischen Gütertransports aber noch nicht?
Das Projekt ist so aufgestellt, dass man es später wieder aufnehmen kann – wenn die Zeit reif ist. Denn vielleicht sind wir wirklich eine Generation zu früh dran.
Wann wäre denn ein geeigneter Zeitpunkt? Oder anders gefragt: Was genau müsste passieren, damit die Idee eines unterirdischen Gütertransports in der Schweiz wieder aufgenommen wird?
Meiner Meinung nach dann, wenn Politik und Bevölkerung erkennen, dass wir neue Lösungen für Verkehr und Logistik brauchen. Wir Transportunternehmer können doch nicht jedes Jahr den Stauzuschlag erhöhen! Und stehender Verkehr ist alles andere als umweltfreundlich. Vielleicht erkennt die Politik bald, dass die Güterversorgung eine Staatsaufgabe ist. Die Schweizerischen Bundesbahnen (SBB) werden schliesslich auch mit Steuergeldern in Milliardenhöhe ausgebaut.
Wie sehen Sie die Zukunft des Gütertransports in der Schweiz?
Transportiert wird immer. Wir sind eine konsumgetriebene Gesellschaft und wollen alles sofort und noch schneller. Das macht es schwieriger, Transporte zu bündeln. Man sieht es an den Bestellungen über Temu: Pakete kommen als Einzelsendungen statt gebündelt. Wir Transportunternehmer sind Dienstleister – wir fahren nicht zum Vergnügen, sondern weil der Konsument es so will. Damit die Staustunden nicht jedes Jahr zunehmen, braucht es Lösungen. Wenn es nicht CST ist, muss die Politik etwas anderes entwickeln. Dem Transitverkehr könnte man etwa mit zeitlich begrenzten Fahrverboten in den Hauptverkehrszeiten begegnen.
Der zunehmende Verkehr macht auch den Chauffeurberuf unattraktiv – nur im Stau stehen will niemand. Oder wie sehen Sie das?
Es ist Tatsache: Die Babyboomer gehen in Pension, und es kommen zu wenige nach. Glücklicherweise haben wir heute weniger Mühe als früher, Lernende zu finden. Einerseits sind moderne Elektro-Lastwagen spannend für die Jungen, andererseits hat die Pandemie ein Umdenken gebracht. Die Akzeptanz für Logistik ist grösser geworden. Für die Konsumenten ist sie so selbstverständlich wie Strom und Wasser. Während der Pandemie wurde vielen bewusst, was passiert, wenn plötzlich etwas fehlt – etwa das Toilettenpapier. Da haben die Leute gesehen, was Chauffeure täglich leisten. Wir arbeiten daran, dieses Bewusstsein weiter zu fördern. Ich bin stolz darauf, was wir jeden Tag schaffen.
Für Hans-Peter Dreier ist Cargo sous terrain kein gescheitertes Projekt, sondern ein Gedanke, der seiner Zeit vielleicht etwas voraus ist. Und bis dahin gilt: Ohne Chauffeure läuft in der Schweiz nichts.
Interview: Fabienne Reinhard
Foto: Dreier
