Das Wiener Motorensymposium hat sich über die Jahre zu einer Institution entwickelt, die – der Name ist Programm – sich um fortschrittliche Antriebslösungen für Autos, Lieferwagen, Lastwagen und Busse dreht. Neu gehört hierzu auch der Elektroantrieb, wie dies von verschiedenen Rednern unterstrichen wird. Gleichwohl führte Professor Bernhard Geringer als Gastgeber Mitte Mai mit einer beinahe schon philosophischen Note in die inzwischen 46. Tagung ein: «Ohne Kohlenstoff gäbe es kein Leben auf dieser Welt. Daher ist es falsch, vom Ziel der Dekarbonisierung zu sprechen.» Für Geringer ist das Ziel die Defossilisierung, also die Abkehr von fossilen Energieträgern und Treibstoffen. «Zur Dekarbonisierung gehören Methoden wie Elektrifizierung und Effizienzsteigerung, während bei der Defossilisierung fossile Rohstoffe (Erdöl, Erdgas) durch Alternativen wie Biomasse oder recycelte Produkte ersetzt werden.»
Entsprechend kritisiert Geringer auch die aktuelle Flottengesetzgebung der EU, die sich nur auf die Treibhausgasemissionen des Fahrzeugs während des Betriebes beschränkt. «Diese Gesetzgebung muss einer Gesamtsystembetrachtung weichen, die den gesamten Fahrzeuglebenszyklus betrachtet, von der Rohstoffgewinnung und Produktion bis zur Entsorgung.» Damit erhielten auch klimaneutrale Treibstoffe und energieeffiziente Antriebe wie Range Extender eine Chance.
Vielfalt als Grundvoraussetzung
«Die Zukunft wird nicht von einer einzigen Technologie bestimmt, sondern von den Anbietern, die viele beherrschen», unterstreicht auch Mathias Giannini, CEO von Horse Powertrain. Die Firma ist ein Joint Venture von Geely, Renault und dem Erdölkonzern Aramco, die komplette Antriebsstränge für alle Automobilhersteller der Welt anbieten wollen. Auch gebe dieser technologieoffene Ansatz beim Antrieb Flexibilität, sagt Geringer, fordert aber auch mehr Planungssicherheit für Europas Industrie und Handel. «Dafür sind dringend verlässliche Regelungen vonseiten der Politik notwendig», so Geringer. Neben der Fahrzeugindustrie sei vor allem die nachhaltige Energieindustrie an verlässlichen gesetzlichen Rahmenbedingungen interessiert, sodass Investitionen in Entwicklung und Produktion längerfristig geplant werden könnten.
Für Frederik Zohm, Vorstand für Forschung & Entwicklung bei MAN Trucks & Bus, wird auch im Lkw- und Bus-Bereich die Elektromobilität eine zentrale Rolle spielen. Obwohl MAN auch am Einsatz von Wasserstoff im Verbrennungsmotor und in der Brennstoffzelle arbeitet, rechnet Zohm damit, dass im Jahr 2030 bis zu 90 % der neuen MAN-Busse und rund die Hälfte der neuen MAN-Lkw mit batterieelektrischen Antrieben ausgestattet sein werden. Einen der Schlüsselfaktoren beim Hochlaufen der Elektromobilität im Nutzfahrzeugsektor sieht er in der flächendeckenden Ladeinfrastruktur. Entsprechend fordert auch er verlässliche Rahmenbedingungen von der Politik für deren raschen Aufbau.
Biogene Treibstoffe
Die von Bernhard Geringer geforderte Abkehr von fossilen Rohstoffen geniesst aktuell zunehmende Aufmerksamkeit und bringt Wasserstoff und Biotreibstoffe wie Biodiesel B100, HVO100 oder Biogas vermehrt in den Fokus. Ihr Einsatz erlaubt es Speditionen und Transportunternehmen, auch mit Verbrennungsmotoren ihren CO2-Fussabdruck wesentlich zu verringern. Aktuell laufen Bestrebungen in der EU, Fahrzeuge mit Verbrennungsmotoren als Null-Emissions-Fahrzeuge einzustufen, wenn sie auch mit regenerativen Treibstoffen betankt werden.
Während mit Batterien, Brennstoffzelle und Wasserstoff der ökologische Antrieb augenfällig und leicht nachvollziehbar ist, steht die Industrie bei Biodiesel, HVO und Biogas vor der Herausforderung des Nachweises. Hier setzt Bosch mit der neuen Lösung «Digital Fuel Twin» an. Dabei erfasst die im Fahrzeug integrierte Softwarelösung die Verwendung der klimafreundlichen Treibstoffe und belegt die verringerten CO2-Emissionen. «Mit Digital Fuel Twin können Unternehmen unkompliziert nachweisen, dass sie regenerative Treibstoffe nutzen», sagt Thomas Pauer, Vorsitzender von Bosch Power Solutions.
Die Software erfasst klimarelevante Eigenschaften des Treibstoffs in der Herstellung, beim Transport bis zur Tankstelle und schliesslich bei der Abgabe ans Fahrzeug. Der Zugriff ist cloudbasiert. Noch befindet sich die Lösung in Erprobung, u. a. auf der Sternfahrt einer Flotte von 12 Lkw und Pkw, die bis zum 24. Juni aus ganz Europa nach Brüssel unterwegs war und ausschliesslich mit nachhaltigen Treibstoffen an öffentlichen Tankstellen befüllt wurde. Künftig soll Digital Fuel Twin manipuliersicher in die Fahrzeugelektronik integriert sein.
Im Bereich der schweren Nutzfahrzeuge arbeiten praktisch alle Hersteller an einem multiplen Ansatz. DAF beispielsweise hat soeben einen speziell für Biodiesel B100 abgestimmten 13-Liter-Motor (MX-13) lanciert, um Transporteuren in Regionen, wo Biodiesel stärker verbreitet ist als HVO100, Perspektiven in der Defossilisierung zu bieten. Jetzt braucht es möglichst rasch noch die politische Anerkennung, damit OEM und Betroffene, wie Energieversorger, nun auch die nötige Investitionssicherheit erhalten.
Text: Martin Schatzmann
Foto: Hersteller