Der ernsthafte elektrische Strassengüterverkehr war Ende 2020 durch die Volvo-Group-Tochter Renault Trucks lanciert worden, und zwar vorerst im mittelschweren Bereich, mit den Modellen D Z.E. und D Wide Z.E. (heute E-Tech statt Z.E.). Bei den schweren Lastwagen hatte dann die Konzern-Schwester Volvo Trucks die Nase vorn und brachte Anfang 2023 auch hierzulande die ersten FH und FM Electric auf die Strasse. Zwei Jahre lang war Volvo in der Schweiz und in Europa praktisch allein und hat den Elektro-Truck-Markt dominiert. Erst in den letzten Monaten haben auch die übrigen Hersteller begonnen, mit substanziellen Auslieferungen zur Gestaltung der Elektro-Truck-Landschaft beizutragen. Volvo hat sich auf den Lorbeeren aber nicht ausgeruht. Von der FH-Reihe wurde zuletzt ein zusätzliches, aerodynamisch optimiertes Topmodell FH Aero nachgelegt, das im Langstreckenverkehr die Treibstoffeffizienz um bis zu 5 % verbessert. Der FH Aero ist mit allen Antriebs- und Motorvarianten kombinierbar.
Erster E-Truck auf der Teststrecke
Als Elektroversion und mit voll ausgelastetem Trailer rollte ein 40-Tonnen-Aero-Sattelzug für eine ausgiebige Testfahrt in die Schweiz. Es ist notabene der erste Elektro-Lastwagen, den wir für eine Runde auf unserer Testroute (siehe Kasten) einsetzen konnten. Die eigentliche Teststrecke misst 180 Kilometer, je nach Markenvertretung kommen für die Anfahrt bis zu 70 km dazu. Mehr liegt auch gar nicht drin, sonst muss vor der Testrunde noch etwas Ruhezeit eingeschoben werden, was wiederum den Einfluss der Verkehrsdichte verändern würde.
Während erste Hersteller ihre Antriebsmotoren als E-Achsen mit integriertem Getriebe entwickelt haben, setzt Volvo vorerst noch ausschliesslich auf eine Lösung mit Zentralmotor, herkömmlicher Antriebsachse und Kardanwelle. Gegen Ende 2026 will hingegen auch Volvo zusätzlich eine E-Achse anbieten, welche die Montage zusätzlicher Batteriekapazitäten ermöglicht und somit die Reichweite der E-Volvos über die 600-km-Marke schieben wird.
«Unser» Truck ist aktuell das leistungs- und reichweitenstärkste Modell der Schweden. Die Motoreinheit umfasst drei Elektromotoren, die zusammen 490 kW (666 PS) leisten und ein Drehmoment von 2400 Nm ab niedrigsten Umdrehungen zur Verfügung stellen. Für bestimmte Kurzstreckenanwendungen ist die Motoreinheit auch mit nur zwei E-Maschinen zu haben (327 kW/444 PS; 1600 Nm). Für Überland-Sattelzüge sind für Volvo drei Motoren allerdings unabdingbar, da sie eine bessere Energierückgewinnung (Rekuperation) erzielen, was sich auf die Reichweite positiv auswirkt.
Auf jeden Fall wird die Motoreinheit direkt mit dem bekannten i-Shift-Getriebe mit 12 Gängen verblockt. Dank des hohen Anfahrdrehmoments nutzt i-Shift jedoch meist die länger übersetzte Gruppe (7–12), auf die kürzeren Gänge wird lediglich bei starker Steigung oder hoher Last zurückgegriffen. Auch auf unserer Testrunde blieb der Volvo dieser Schaltstrategie treu und blieb die ganze Strecke in der langen Übersetzung. Dadurch profitiert der Wagen von einem lange andauernden, gleichmässigen Hochbeschleunigen, die Gangwechsel finden erst bei höheren Tempi statt. Das macht die Fahrt angenehm ruckarm und man ist weniger ein Hindernis an Ampeln und Kreuzungen.
Unterschiede und Stille
Äusserlich unterscheiden sich Diesel- und Elektro-Versionen beim Volvo FH kaum, umso deutlicher zeigt sich der Technologiewandel beim Blick in den ehemaligen Motorraum. Wo unter der gekippten Kabine sonst ein grosser Dieselmotor das Bild prägt, sind es beim E-Truck vor allem Elektronikkomponenten, wie die Leistungselektronik, Spannungswandler und eine grosse Zahl von Hochvoltleitungen. Letztere sind an ihrer grellen orangen Farbe zu erkennen. Übrigens ein unverkennbarer Indikator eines E-Trucks sind bei den Sattelzugmaschinen neben dem «Electric»-Schriftzug die seitlichen Tritte für den Zugang zu den Traileranschlüssen hinter der Kabine. Es sind keine Ausbuchtungen wie bisher, sondern sie sind klappbar. Das ist dem Platzbedarf der Batterien am Chassisrahmen geschuldet, welche den vorhandenen Raum auf ein Maximum ausnutzen.
Obwohl wir schon mit den verschiedensten E-Lastwagen gefahren sind (siehe auch Seite 20), fasziniert die Laufruhe dieser Fahrzeuge auch diesmal wieder in besonderem Masse. Inklusive Fotostopp dauert unsere Runde jeweils gut drei Stunden, was deutlich weniger ist als ein normaler Chauffeuralltag. Doch auch während dieser Runde können Störgeräusche und Vibrationen schon mal auf die Nerven gehen. Diese sind aber beim elektrischen Testfahrzeug minimal und so sind wir die ganze Zeit sehr geräuschentspannt unterwegs und unterhalten uns fast wie im Wohnzimmer mit unserem Begleiter. Im Gespräch mit Chauffeuren, welche heute bereits elektrisch unterwegs sind oder zumindest einen E-Truck während einer Testphase auf ihrer Route benutzen konnten, werden Ruhe und geringe Vibrationen stets als besonders eindrückliche und daher als positive Veränderung angeführt. «In den wenigen Tagen mit dem Elektro-Truck war ich ausgesprochen entspannt unterwegs. Das ganze unaufgeregte Verhalten des E-Antriebs hat sich auf mich übertragen», sagt Stephan Manfredi nach vier E-Truck-Testtagen.
Mangels Vergleichsmöglichkeit lässt sich aus der Testrunde nicht abschliessend sagen, wie sparsam der Volvo mit seiner elektrischen Energie haushaltet. Aber mit teilweise sehr steilen Passagen durch die vordersten Jura-Hügel fällt der Schnitt über die ganze Strecke mit 115,6 kWh/100 km durchaus moderat aus. Bei der verbauten Batteriekapazität des Testtrucks von 540 kWh sind demnach Reichweiten von bis zu 450 km möglich. Auf der A1 am Jurasüdfuss, wo wir mit Tempomat und 84 km/h dahincruisten, sank diese Zahl gar unter die 100-kWh-Schwelle und kam auf 98,6 kWh/100 km zu liegen.
Mit der Aero-Front hat Volvo den Luftwiderstand spürbar und den Energieverbrauch um 5 % reduziert. Das wiegt sicher im Überlandverkehr besonders stark, doch bereits ab Geschwindigkeiten von 50 und 60 km/h wird der Luftwiderstand relevant. Übrigens muss bei den grundsätzlich effizienteren E-Lastwagen rund die Hälfte der Antriebsenergie zur Überwindung des Luftwiderstandes aufgewendet werden, beim Diesel mit generell höheren Verlusten ist es lediglich ein Drittel.
DC- und AC-Laden
Natürlich lässt sich der FH Aero Electric an jedem DC-Fastcharger mit Energie versorgen, doch der Volvo besitzt auch ein Onboard-Ladegerät (43 kW) für einen Wechselstrom-Anschluss. Damit lässt sich auch die grösste Batterie in zehn, elf Stunden laden. Andere OEM verzichten aus Platzgründen auf diese kostengünstige Möglichkeit und ermöglichen ausschliesslich das Gleichstrom-Laden.
Den FH Electric auf unsere Testrunde nehmen zu können, hat mir den Elektro-Lastwagen noch einmal deutlich nähergebracht. Dabei haben neben besagtem Geräuschkomfort auch die Detaillösungen des Volvo FH Aero gefallen. Dazu zählt der massive Fronttritt, der sicheres Scheibenreinigen garantiert, aber auch als Pausenbänkli für die Ruhezeit dienen kann.
Und die Ruhezeit ist eben vorbei, wir müssen weiter. Gute Fahrt!
Text: Martin Schatzmann
Foto: Schatzmann / Volvo
Satte 180 km Abwechslung
Die Fähigkeiten von Lastwagen vergleichen zu wollen, ist ob der schieren Vielfalt an Spezifikationen und Einsatzlösungen für uns praktisch ein Ding der Unmöglichkeit. Um gleichwohl eine minimale Vergleichsmöglichkeit zu erhalten, befahre ich zumindest mit Sattelzügen eine immer gleiche Strecke. Sie widerspiegelt während rund 180 km die abwechslungsreiche Topografie der Schweiz und sie ermöglicht mir, gewisse Funktionen und Abstimmungsmöglichkeiten des jeweiligen Fahrzeugs besser einordnen zu können.
Diese Strecke umfasst die Mittelland-Autobahn A1 zwischen Oensingen und Kerzers, führt überland durch die Gemüsekammer des Berner Seelands bis nach Lyss und auf der Schnellstrasse bis Biel. Nach der Stadtdurchfahrt West–Ost erfolgt im Bözingenfeld über die steile Autobahnrampe der Einstieg auf knapp 20 km Transjurane. Durchs Vallée de Tavannes fahren wir erneut überland bis Moutier – parallel zur Transjurane – und dann via Gänsbrunnen nach Balsthal, durch die Klus wieder an den Jurasüdfuss bei Oensingen.
Martin Schatzmann






