Lkw-Marken in Gefahr – ACEA warnt vor Strafzahlungen

Fahrzeuge und Technik Ausgabe-07-2025

Vermehrt wird im Transportwesen auf Elektro-Trucks umgestellt, wie hier beim Nissan-Werk in Nordengland. Mangels Engagement aus anderen Sektoren drohen der Nutzfahrzeugbranche jedoch ab 2030 vernichtend hohe CO2-Strafzahlungen. Davor warnt der europäische Automobilherstellerverband ACEA.

Der europäische Automobilherstellerverband ACEA verlangt ein Umdenken von Politik und Wirtschaft. Ohne den vereinten Effort kann die Transformation nicht bewerkstelligt werden und würde 2030 zu horrenden CO2-Strafzahlungen für Lkw-OEM führen.

Die aktuelle EU-Gesetzgebung sieht vor, dass Lastwagen-Hersteller ihren Flotten-CO2-Ausstoss im Jahr 2030 um 45 Prozent gegenüber dem Niveau von 2020 verringern müssen. Wer das nicht schafft, erhält eine Strafe aufgebrummt: 4250 Euro pro Gramm CO2 pro Fahrzeug. Das kann Strafen pro Hersteller von bis zu einer Milliarde Euro bedeuten. «Verpasst ein Hersteller die Vorgaben um 10 Prozent, dann sind wir bei diesen Strafsummen», sagt Christian Levin, CEO der Traton Gruppe (MAN, Scania) und aktueller Nutzfahrzeug-Vorsitzender beim ACEA.

Immense Verluste

An einer Medienkonferenz in Brüssel im Juni spricht Levin Klartext: Wenn es zu solchen Bussen kommt, hat das in Europa Auswirkungen, die weit über die Fabriken der Hersteller hinausgehen. «Wir sind das Rückgrat unserer Gesellschaft», sagt Levin. «Der Verkehr ermöglicht es, dass Europa so effizient ist.» Wenn die Transportbranche ihre Wettbewerbsfähigkeit verliert, werde Europa unzählige Arbeitsstellen und die logistische Leistungsfähigkeit verlieren. «Und wir würden unsere Marktführung, die wir beim Lkw aktuell weltweit innehaben, verlieren.»

Levin betont erneut, dass die Lkw-Hersteller die anvisierte CO2-Reduktion vollkommen unterstützen. Um als Transportsektor hierbei erfolgreich sein zu können, skizziert Levin vier Kernpunkte, die sich aber ergänzen müssen: die Lastwagen, die Infrastruktur, der Business Case und die Nachfrage.

Die Lastwagen

Bei den Lastwagen ist die Industrie auf Kurs – jeder grosse Lastwagenhersteller hat heute batterieelektrische Lastwagen im Angebot und die Produktionskapazitäten sind vorhanden. Levin: «Wir können die Fahrzeugauslieferung garantieren. Wenn der Kunde bestellt, wird ihm der Elektro-Truck auch geliefert.» Heute liegt der Verkaufsanteil von Elektro-Trucks in Europa bei 3,6 Prozent, was sich bis 2030 aber verzehnfachen muss. Zwar müssen die 45 Prozent der Schadstoffreduktion nicht allein von Elektro-Lastwagen getragen werden, doch obwohl zehn Prozent auf Verbesserungen bei Diesel-Antriebssträngen und bei der Aerodynamik entfallen sollen, bleibt der Hauptharst mit 35 Prozent Kohlenstoffreduktion an den Elektro-Lastwagen hängen – und das müsste in lediglich 4,5 Jahren geschafft werden.

Länder wie Schweden und die Niederlande, aber auch die Schweiz, liegen bei der Zulassung von Elektro-Trucks an der Spitze, andere, wie Polen oder Spanien, sind diesbezüglich aber noch nirgends anzutreffen. «Das ist heute aber sicher kein Technologieproblem mehr», so Levin, «alles andere ist das Problem.»

Die Infrastruktur?

Aktuell gibt es in Europa an noch nicht einmal 1000 Standorten Ladestationen, an welchen auch schwere Nutzfahrzeuge problemlos geladen werden können. «Die meisten davon verfügen auch nicht über Megawatt-Charging, welches für den Langstreckentransport nötig wäre», meint Levin.

Doch der wirkliche Flaschenhals sieht ACEAs Nutzfahrzeug-Vorsitzender beim Ausbau des Starkstromnetzes. Selbst in seinem Heimatland Schweden könne es bis zu zehn Jahre dauern, bis ein neues Kabel im Boden verlegt sei. «Es geht längst nicht mehr nur darum, Ladestationen zu errichten, sondern darum, diese auch mit dem nötigen Strom versorgen zu können.» Zudem dauerten die Bewilligungsprozesse hierfür oft viel zu lang und seien frustrierend unbrauchbar.

Geschäftsmodelle

Damit Transportunternehmen auf elektrische Lastwagen umstellten, müssten sich daraus auch echte Geschäftsmodelle ergeben. In der Schweiz mit dem aktuell noch gewährten Erlass der LSVA ist ein TCO-Vorteil beim Elektro gegenüber dem Diesel noch vielfach gegeben, in Europa aber gemäss Levin oft nicht. «Einen Diesel zu benutzen ist in den meisten Fällen heute noch immer günstiger als ein Elektrolastwagen. Das müssen wir ändern», sagt Levin. Mögliche Lösungen sieht er in einem Mix aus Kohlenstoffsteuer, Steuererleichterungen und neuen Finanzierungsmodellen. «Es ist absurd, dass fossile Treibstoffe in Europa geringer besteuert sind als die Elektrizität. Wir müssen es teurer machen, Schadstoff auszustossen.»

Selbst wenn das passende Fahrzeug, die passende Infrastruktur und die passende Finanzsituation, respektive TCO, gegeben sind, benötigen Transportunternehmen auch von Kundenseite die Zusage, dass sie gewillt sind, sich an der Finanzierung der Schadstoffreduktion zu beteiligen. «Keiner kauft einen Lastwagen aus Spass», sagt Christian Levin. «Lastwagen sind eine Investition. Aber wenn der Transportvertrag über nur ein oder zwei Jahre läuft, wie lässt sich da der Kauf eines 300 000 Euro teuren Elektro-Lkws rechtfertigen?» Es bräuchte jetzt längerfristige Verträge, klarere Signale von den Regierungen und ein klares Bekenntnis von öffentlichen und privaten Transportauftraggebern. «Die öffentliche Beschaffung sollte heute generell Null-Emissions-Transporte voraussetzen», fordert Levin. «Wir haben die Fahrzeuge, lasst uns die Nachfrage schaffen.»

Zu wenig Dialog

Mit Blick auf die Dringlichkeit, welche beim Thema gegeben ist, zeigt sich Christian Levin frustriert über den fehlenden Dialog mit der Europäischen Kommission. Er spricht dabei den Massnahmenplan der EU an, mit welchem die Wettbewerbsfähigkeit der europäischen Automobilindustrie erhalten werden soll und den die EU in Rekordtempo durchgebracht hat. «Aber wir sind nicht Personenwagen. Nutzfahrzeuge sind eine komplett andere Angelegenheit, und wir werden aktuell von den Gesprächen ausgeschlossen.» ACEA hat seither in einem offenen Brief von der Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen dringliche Gespräche und eine möglichst frühzeitige Überprüfung der CO2-Ziele für 2030 gefordert. «Wir als europäische Lastwagen-Hersteller unterstützen die Klimaziele mit vollen Kräften», so Levin. «Aber ohne Unterstützung bei Infrastruktur, TCO und Nachfrage werden wir es nicht schaffen, und die Strafzahlungen werden echten Schaden in unserer Industrie anrichten.»

Text: Will Shiers* / MS
Fotos: Will Shiers, Nissan

* Will Shiers: Der Brite ist Redaktor beim englischen Magazin Commercial Motor und Mitglied der Jury International Truck of the Year ITOY.

 

Gesetzlichen Rahmen setzen

Christian Levin glaubt, dass Europa sich klarer zu älterer Lkw-Antriebstechnologie positionieren sollte, wenn die Klimaziele erreicht werden sollen. «Von Euro1 bis Euro6e haben Industrie und Gesetzgeber zusammengearbeitet», meint er. «Das gab uns Klarheit. Trat ein neuer Abgasstandard in Kraft, konnte der bisherige nicht mehr zugelassen werden.» Das gleiche Prinzip sollte auch heute zur Anwendung gelangen, um die Einführung von Elektro-Lastwagen zu beschleunigen. Das müsste sowohl für Low-Emissions- und Zero-Emissions-Fahrzeuge der Fall sein. «Aber so ist das aktuell in Europa nicht vorgesehen, in China hingegen schon.»

Gemäss Christian Levin liegt die Durchdringung von Elektro-Lastwagen in China bei 30 Prozent, was durch strikte Politik, rasche Regulierung und gezielte Anreize ermöglicht wurde. Ein starker Kontrast zu Europas trägem Patchwork-Ansatz. «Wir müssen drastische Massnahmen ergreifen», warnt er. Es seien nur noch 4,5 Jahre bis 2030. «Wie sollen wir in der kurzen Zeit ohne drastische Schritte den Sprung von 3,5 auf 35 Prozent Marktanteil für E-Trucks bewerkstelligen? Wir werden es schlicht nicht schaffen, wenn wir jetzt nichts ändern.»

Will Shiers, MS