Der elektrische Lastwagen verlässt definitiv das Vorserienstadium. Mit dem Jahr 2025 werden alle europäischen Lastwagenhersteller serienfertige Produkte anbieten und auch den Kunden ausliefern können. Im Juni hat MAN im Werk in München (siehe rechts) offiziell seine Serienfertigung gestartet. Für die Gewichtsklasse zwischen 20 und 50 Tonnen sind das die Modelle eTGS und eTGX und im 12-Tonnen-Segment der eTGL.
Hohe Variantenvielfalt
Während der eTGL, der jedoch erst 2026 in Produktion geht, einzig als Zwei-Achser-Chassis und mit zwei Batteriepaketen kommen wird, decken eTGS und eTGX eine Vielzahl an Achs- und Batterie-Kombinationen ab. Die Nettokapazität der einzelnen MAN-Batteriepakete beträgt aktuell 80 kWh (knapp 90 Prozent der Bruttokapazität) und ein Paket wiegt rund 800 kg. Beim eTGL werden die beiden Batterien links und rechts am Chassis befestigt. Bei eTGS und eTGX werden zwei der Pakete grundsätzlich an jener Stelle unter dem Fahrerhaus montiert, wo bei den Verbrennern der Dieselmotor positioniert ist, die übrigen Batterien am Chassis.
Zugfahrzeuge sind vorerst ausschliesslich als 4×2 erhältlich und können marktabhängig für ein Gesamtzuggewicht von bis zu 50 Tonnen zugelassen werden. Mit wahlweise vier bis sechs Batteriepaketen reicht die Kapazität bei den Zugmaschinen von 320 bis 480 kWh, wobei MAN bei einem 42-Tonnen-Zug mit 480 kWh von rund 500 Kilometern Reichweite ausgeht.
Die Chassis-Modelle werden als 4×2 und als 6×2 gebaut, allerdings lassen sich über die Spezialabteilung MAN Individual auch zusätzliche Achskonfigurationen (6×4 BL, 6×2-4 BL und 8×4-4 LL) konfigurieren. MAN Individual ist auch die Anlaufstelle, wenn neben den normal erhältlichen Batterie-Konfigurationen bei Chassis-Modellen eine zusätzliche siebte Batterie gewünscht wird. Ab Werk besteht bei den Chassis die Wahl von drei bis sechs Paketen und entsprechend von 240 bis 480 kWh Netto-Kapazität. Mit dem möglichen siebten Paket erreicht die Kapazität 560 kWh und die Reichweite über 600 Kilometer.
Doch das Thema Reichweite ist bei Elektro-Lkw wegen des immensen Gewichts der Batterien eine komplexe Angelegenheit. Deshalb geht auch bei MAN eine umfassendere Beratung des Kunden vorweg, um die Abwägung von Einsatzaufgabe, Reichweitenbedarf und Nutzlast vor dem Kauf viel genauer als bisher vorzunehmen.
Unterschiedliche Einsatzmodi
In grosser Variantenvielfalt organisierte MAN auch eine erste Kontaktnahme mit seriengefertigten E-Lastwagen im Raum München. Neben diversen eTGS- und eTGX-Sattelzügen für Fernverkehr, Nahverkehr und Baustelle mit unterschiedlicher Gewichtsauslastung konnte auch ein eTGS als Welaki-Aufbau gefahren werden. Der E-Antrieb ist in unterschiedlichen Leistungsstufen mit aktuell bis zu 400 kW (544 PS) Spitzenleistung erhältlich und wird je nach Leistung mit 2-Gang- oder 4-Gang-Getriebe kombiniert. MAN setzt dabei auf Zentralmotor und Kurbelwelle, was Synergien mit den Verbrennern bei der Teilebereitstellung und der Fahrzeugproduktion mit sich bringt.
Per Drehrad im rechten Lenkstockhebel werden die vier Fahrmodi angewählt, die dreistufige Rekuperation wird – ähnlich von Motorbremse und Retarder beim Diesel – ebenfalls über den rechten Lenkstockhebel bedient. Dabei wird in der stärksten Rekuperationsstufe das sogenannte One-Pedal-Drive ermöglicht. Die vier Fahrmodi heissen ähnlich wie beim Diesel:
– Efficiency (Normalmodus)
– Power
– Manoeuvre (Manövrieren; optional) und
– Range (Reichweite).
Da in «Range» für eine maximale Reichweite die Leistung und das Drehmoment begrenzt werden, empfiehlt MAN dessen Verwendung vor allem im Stadtverkehr und bei geringem Gewicht. Tatsächlich ist die Leistungsbegrenzung unterwegs spürbar, wirkt aber grundsätzlich kaum störend; wir sehen «Range» tatsächlich als guten Modus im niedrigeren Tempobereich von Stadt und Agglomeration. Auch auf der Langstrecke ist wenig am Einsatz von «Range» zu kritisieren, lediglich beim Auffahren auf eine Schnellstrasse oder eine Autobahn empfiehlt sich vorübergehend «Efficiency», um den Lkw besser in den Verkehrsfluss integrieren zu können. Kick-down ist in «Range» deaktiviert und die Umstellung muss am Lenkstockhebel manuell erfolgen. Durch das Spiel mit Fahrmodi und Rekuperationsstufen lässt sich wie beim Diesel der Energieverbrauch im Elektro-Lastwagen bewusst verringern, wobei die Erfahrung aus Erprobung und von frühen Nutzern zeigt, dass auch beim E-Truck lange Rollphasen genauso wichtig sind wie die Rekuperation.
Die gleichmässigere Kraftentfaltung eines E-Antriebes macht nicht nur das Anfahren oder die Zwischenbeschleunigung angenehmer, sie birgt auch Vorteile auf lockerem Untergrund. So kann in den meisten Fällen auch auf den Manövermodus verzichtet werden, ausser wenn das Fahrzeug beispielsweise regelmässig im Baustelleneinsatz steht.
Übrigens ist bei MAN auch die Aussensonnenblende zurück. In Kombination mit den schmalen Armen der Spiegelkameras und aerodynamischem Feinschliff an der Blende selbst wurde der bisherige Negativeffekt auf die Luftströmung auf ein Minimum reduziert. Selbst im deutlich leiseren Kabineninnern der E-Trucks sind von der Blende keine Windgeräusche festzustellen.
Entspannung, auch beim Laden
Die MAN-eigene Ladekarte Charge&Go bietet den Zugang zu europaweit aktuell gut 700 öffentlichen Ladestationen, die – von MAN überprüft – von der Ladeleistung und von den räumlichen Gegebenheiten auch für Lkw und Busse tauglich sind. Bis Ende des Jahres soll die Zahl bereits die 1000 überschreiten. Ein Teil dieser Ladeorte liegt übrigens direkt bei MAN-Werkstätten (auch für Fremdmarken zugänglich).
Zugleich sorgt MAN dafür, dass bei Problemen an Ladesäulen unterwegs auch ernsthaft unterstützt wird. Dazu wurde die Support-Hotline MAN Mobile 24 um Spezialisten erweitert, die im Umgang mit Ladesäulen und mit Kommunikationsschwierigkeiten von Säule und Lkw auch geschult sind.
Text: Martin Schatzmann
Foto: MAN Truck & Bus
Smart Charging Cube
Stromengpass für Ladesäulen überlisten
Eine würfelförmige Schnellladestation mit integriertem Stromspeicher – der Smart Charging Cube ist ein neues Angebot, das MAN in seine Beratungs- und Realisierungssparte für E-Nutzfahrzeuge (Lkw und Bus) aufgenommen hat. Der integrierte Batteriespeicher lässt sich mit minimalsten Anforderungen an einem Netzanschluss aufladen, was dann von Vorteil ist, wenn der Netzbetreiber den sonst für Schnellladelösungen nötige Strom nicht an den gewünschten Standort ziehen kann oder die Realisierung noch längere Zeit in Anspruch nimmt. An den Ladewürfel, der auch mit Solarstrom gespiesen werden kann, können ein bis vier Ladesäulen mit einer maximalen Ladeleistung von 400 kW angeschlossen werden.
Der Smart Charging Cube kann gekauft, geleast oder gemietet werden, wobei die Speicherkapazität zwischen 500 und 1100 kWh wählbar ist. Es sind zudem keine Erdarbeiten notwendig, so dass ein Ladewürfel relativ einfach von einem Einsatzort zum nächsten transportiert werden kann. MAN kooperiert hierbei mit AW Automotive, die das Ladewürfel-Konzept erstmals mit Audi lanciert hatten.
Neben dem Vorteil des einfachen Netzanschlusses (32 A bis 630 A) und der Möglichkeit zur Einspeisung von eigenem Solarstrom sind mit dem Smart Charging Cube auch andere interessante Ladeeigenschaften umsetzbar. So kann er fürs sogenannte Peak Shaving, für den dynamischen Strombezug oder für bidirektionales Laden genutzt werden.
Martin Schatzmann





