Zwölf Zylinder, 22 Liter Hubraum, ungefähr 790 PS, rund 4000 Nm Drehmoment, vier angetriebene Achsen – viel mehr geht eigentlich nicht. «Nummer 6» oder «Büffel» sind die internen Felbermayr-Bezeichnungen für den ÖAF 48.792 VFA, der viele Jahre der Spezialist für die ganz besonderen Spezialaufträge des Unternehmens war. Karl Obermayr, über Jahrzehnte einer der Stammfahrer des «Sechsers», erinnert sich beim Plaudern mit CEO Horst Felbermayr und dem Autor an die Qualitäten des ÖAF: «Wenn es kein Lkw mehr gekonnt hat, er hat es geschafft!» Zustimmendes Nicken erntet der 65-jährige Routinier von Fuhrparkchef Josef Kreuzmayr und Techniker Jürgen Prokosch, die sich um das Wohlergehen des Schwerlast-Spezialfahrzeugs kümmern.
Teures Getriebe
Anhand der technischen Daten ist schnell ersichtlich, dass der Lkw aus dem ÖAF-Werk in Wien-Liesing und dem Fahrerhaus des MAN F90 kein Modell der grösseren Stückzahlen sein kann. «Besonders teuer ist das Renk-Lastschalt-Getriebe mit sieben Vorwärtsgängen und zwei Rückwärtsgängen. Es erlaubt Volllast-Schaltvorgänge ohne Zugkraftunterbrechung», erklären die Experten. Der Autor ist nach einer kurzen Testrunde mit zwölf Zylindern und 790 PS sowohl von der speziellen Antriebstechnik als auch vom Sound des «Büffels» beeindruckt.
Spezialeinsätze
Im Laufe seiner automobilen Karriere kam der ÖAF bei einigen besonders herausfordernden Aufträgen zum Einsatz. Die Felbermayr-Experten erinnern sich unter anderem an Spezialeinsätze beim slowenischen Kernkraftwerk Krško, schwierige Windrad-Transporte im Mühlviertel oder Trafo-Transporte zur Kraftwerksgruppe Reißeck-Kreuzeck in Kärnten. «Dabei kamen ein SPMT-Selbstfahrer, einer unser Mercedes Titan 4160 8x6 und vorne der Sechser gemeinsam zum Einsatz, nach dem Überfahren des Scheitels der Strecke wurden beide Zugmaschinen hinter der Ladung angehängt, um die bestmögliche Bremswirkung sicherzustellen», erläutert Jürgen Prokosch. Bei seinen Einsätzen beförderte der Allrad-ÖAF im Zug-Schub-Verbund teilweise Gesamtgewichte von bis zu 700 Tonnen. Die technische Freigabe für den «Büffel» als Solofahrzeug seitens des Herstellers liegt bei konkurrenzlosen 350 Tonnen.
Heute kann es der spektakuläre V12-Lkw mit dem D2842-Motor ruhiger angehen. Bestens gehegt und gepflegt geniesst er nach 702 412 Einsatzkilometern seinen automobilen Ruhestand und wird gelegentlich bei innerbetrieblichen Überstellungen auf dem weitläufigen Felbermayr-Firmengelände in Wels gestartet.
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Text: Andreas W. Dick
Fotos: Andreas W. Dick und Felbermayr
Eine seltene Erscheinung
Im Lkw-Bereich sind Zwölfzylinder-Dieselmotoren sehr selten zu finden. Als frühe Beispiele aus deutscher Produktion gelten die Magirus-Deutz-Modelle Uranus (Bauzeit 1954 bis 1967, V12, 250 PS) und 340D16 bzw. 340D22 (Bauzeit von 1971 bis 1976, V12, 340 PS) sowie der Faun L 912/45 A, der später unter anderem mit V12-Vielstoffmotoren ausgestattet war. Ferner sei der Tatra 813 mit luftgekühltem V12-Motor (270 PS) erwähnt. In der Sowjetunion wurde im «Minski Awtomobilny Sawod» ab 1958 der MAZ-535 und anschliessend ab den frühen 1960er-Jahren der schwere MAZ-537gefertigt, angetrieben jeweils von einem Derivat des V12-Panzermotors W-2 mit knapp 39 Litern (!) Hubraum und rund 526 PS. Für den Steyr 91 gab es Planungen für V10- und V12-Motoren, die aber nie in Serie gingen. Die Firma Felbermayr hat zudem eine Titan-Schwerlastzugmaschine Z 3253 auf Mercedes-Basis mit 525 PS in ihrem Fuhrpark. In diesem 8x6-Lkw arbeitet das Triebwerk OM 404A, das einer ab den 1960er-Jahren von Daimler-Benz und MAN gemeinsam entwickelten Motorenbaureihe entstammt.
Andreas W. Dick
Das Unternehmen
Die Felbermayr-Firmengruppe aus Wels in Oberösterreich ist mit mehr als 3000 Mitarbeitern und den Verkehrsträgern Schiene, Strasse und Wasser ein international tätiger Industriedienstleister für Transport, Hebetechnik und Bau. Das Portfolio wird durch die Vermietung von Kranen, Arbeitsbühnen und Staplern und der Schwermontage komplettiert. Horst Felbermayr leitet das 1942 gegründete Familienunternehmen in dritter Generation. Die Lkw-Flotte umfasst über 300 ziehende Einheiten.
Andreas W. Dick
ÖAF und MAN
Die Wurzeln der österreichischen Nutzfahrzeugmarke ÖAF (Abkürzung für Österreichische Automobil-Fabriks-Aktiengesellschaft) reichen bis in das Jahr 1907 zurück. Unter dem Namen Österreichische Fiat-Werke Aktiengesellschaft wurden in Wien-Floridsdorf alle Arten von Personenautomobilen, Automobillastwagen, Omnibussen, Stabil- und Schiffsmotoren sowie auch Flugmotore produziert. 1936 erwarb eine Nachfolgegesellschaft die Fabrikationslizenz für Österreich und Osteuropa auf die von der Maschinenfabrik Augsburg-Nürnberg AG (MAN) erzeugten Fahrzeug-Dieselmotoren. Im Gegenzug wurde MAN Mehrheitseigentümer der Gesellschaft. 1939 wurde die Gesellschaft in Österreichische Automobil-Fabriks-Aktiengesellschaft (ÖAF) umbenannt. Heute heisst der zwischenzeitlich auch als Österreichische Automobilfabrik ÖAF Gräf & Stift AG firmierende Betrieb MAN Truck & Bus Österreich GesmbH.
Andreas W. Dick





